Ulrike Neradt - BLOG 
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Ab sofort werde ich hier Heitere Geschichten aus meiner Jugendzeit auf hochdeutsch schreiben, die ich auch in Mundart schon veröffentlicht habe.

Hier ist meine erste Geschichte . Es ist eine Herbstgeschichte aus dem Rheingau

Tee mit Rum
Es war in den 50er Jahren, als die Weinlese in vollem Gange war. Die Winzerfamilien hatten eine eigene Methode, sich in der Kälte aufzuwärmen: Tee mit einem ordentlichen Schuss hochprozentigem Rum. Meine Oma bewahrte diese Schätze stets unter dem Sitz des Unimogs auf, und sie verteilte großzügige Portionen davon in den Tassen der Traubenleser. Gut mit Zucker vermengt, ergab das eine Mischung, die die Stimmung nicht nur anhob, sondern die Traubenleser auch mit Schwung und singend die Trauben abschnitten. Wir Kinder mussten natürlich so mitsingen, ohne die Wirkung des geliebten "Deibelszeuchs" zu spüren.
Im Herbst versammelten sich oft mehr als zwanzig Leute aus dem Dorf im Weinberg, und das bedeutete, dass ein ordentlicher Vorrat an Rum beschafft werden musste. Der beste und günstigste Rum war in Österreich zu finden. Es war klug, den 80-prozentigen Stroh Rum zu kaufen, da er schnell ins Blut ging und somit weniger benötigt wurde, um die Helfer aufzuwärmen und in Stimmung zu bringen.
Mit meiner Mutter, meiner Großtante Ria und der Großmutter aus Düsseldorf verbrachten wir Kinder oft unsere Ferien in Hopfen im Allgäu. Der Großvater, Frauenarzt von Beruf , war der Meinung, dass die frische Bergluft den Kindern guttat, besonders wenn wir im Winter unter Keuchhusten oder anderen Krankheiten litten. Die größte Attraktion für uns war jedoch nicht die Bergluft, sondern das Toben auf dem benachbarten Bauernhof. Dieser gehörte „Tante Burgi“ und befand sich auf der etwas höher gelegenen Alm. Hier lebten die Menschen anders als im Rheingau. Sie waren arm. Tante Burgi hatte vier Kühe, ein paar Schweine, Hühner und drei Truthähne, vor denen ich immer Angst hatte. Sie bewachten das Haus mit ihrem Gekrächze, als wären es Hunde, und sie griffen jeden an, der keinen guten Grund hatte, dort zu sein. Ich habe mich ein paar Mal vor ihnen geflüchtet, wobei ich einmal auch die volle Milchkanne fallen ließ und wegrannte. Selbstverständlich durften wir Kinder auch bei der Arbeit im Stall helfen. Es war einfach wundervoll. Wenn man einige Stunden in einem solchen Stall gearbeitet hat, weiß man, wie hartnäckig und durchdringend der Gestank von Kuhscheiße an den Kleidern und Schuhen haftet.
Als meine Mutter den alltäglichen Gestank nicht mehr ertragen konnte, begaben wir uns kurzerhand in die nächste Stadt, nach Füssen, um uns jedem ein paar Gummistiefel zu kaufen, die wir abends mit Wasser abspritzen konnten. Ich probierte ein paar knallrote Stiefelchen an. Meinem Bruder Peter sollte jedoch unbedingt schwarze Gummistiefelchen bekommen, da er ja ein Bub war und Rot nach allgemeiner Meinung nach eine Farbe nur für Mädchen war. Anscheinend dachte Peter aber, dass rote Gummistiefel wertvoller seien und versuchte, mit lautem Geschrei im Laden auch solche zu bekommen. Nach einigem Gezeter im Geschäft stolzierte ich mit meinen roten Gummistiefeln aus dem Geschäft, während Peter an Mamas Hand auf den Boden fiel und schreiend aus dem Laden gezogen wurde. "Nun," sagte unsere Tante Ria, "wenn du so böse bist, dann gibt es überhaupt keine Stiefel für dich." Er beruhigte sich, wie es bei den meisten kleinen Kindern der Fall ist, er vergaß den aber Vorfall nicht.
Ein paar Tage später war ein Ausflug nach Reutte geplant. Dort waren wir im Nu über die Grenze nach Österreich gefahren. Kaffee trinken und Sahnetorten essen waren für die Erwachsenen ein Hochgenuss, während wir Kinder uns mit Limonade und Baisers zufriedengaben. Baiser, das war dieses köstliche, zuckersüße Schaumgebäck, gefüllt mit Schlagsahne, das mit Sicherheit dazu beitrug, dass wir später alle schlechten Zähne bekamen. Der Hauptgrund war jedoch der Rum. Stroh Rum aus Österreich. Der Schnaps war dort billiger, da er in Österreich nicht so hoch besteuert wurde wie in Deutschland. Jeder Erwachsene durfte einen Liter über die Grenze mitnehmen, was bedeutete, dass meine Oma, Tante und Mutter insgesamt drei Liter einpackten. Die Zollbeamten waren streng und kontrollierten jeden. Doch drei Liter waren bei Weitem nicht genug, um die gesamte Traubenmannschaft für einige Wochen zu versorgen. Deshalb kauften sie noch zusätzlich drei Liter, die im Rucksack meines Bruders Peter versteckt waren. Wir Kinder haben diese Aktion genau beobachtet und wussten, dass etwas Verbotenes unternommen wurde. Die Oma ermahnte uns noch eindringlich, dass wir an der Grenze besser den Mund halten sollten. Kurz vor der Zollstation wurde mein Bruder Peter, der bisher kein Wort gesagt hatte, plötzlich munter. Nun war seine Stunde gekommen. Rache ist süß: "Wenn ihr mir kei rote Gummistiefelcher kauft, dann sage ich an der Grenze, dass ihr in meim Rucksack drei Liter Rum schmuggelt." Mit diesem Satz war allen klar, dass unser kleiner Schreihals seinen Willen durchgesetzt hat.
Ob er die erpressten roten Gummistiefel erhalten hat, weiß ich nicht. Wir sind noch oft in den Ferien nach Hopfen am See gefahren, und heute weiß ich auch, dass dies nicht nur zum Auskurieren von Kinderkrankheiten ein beliebter Urlaubsort gewesen ist.